Max Schemmler: Soziologie im Labor

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Schon lange arbeitete der Im Erscheinen Verlag in Kooperation mit dem Institut für Zeitgenossenschaft IFZ an einer Neuauflage des wegweisenden Klassikers der zeitgenossenschaftlichen Forschung.
Bereits 1968, zur goldenen Zeit der Kritischen Theorie und ihren weltbekannten Denkern, entwarf der Kölner Anthropologe und Sozialwissenschaftler Max Schemmler in Soziologie im Labor. Einführung in die Methodik zeitgenössischen Denkens im Anschluss und im fruchtbaren Austausch mit der Frankfurter Schule eigene Theorien und Methoden, um über den Diskussionsstand damaliger Debatten hinauszuführen und um zugleich eine moderne Zeitgenossenschaft zu begründen.
Am Beginn dieser Zeitgenossenschaft steht die Zusammenführung von Soziologie und Labor. Während Theodor W. Adorno in seiner Minima Moralia feststellte, dass es “kein richtiges Leben im falschen” geben könne, formulierte Schemmler in einem geschickten wie schlauen Gedankenexperiment dieses Credo schlichtweg um. Wenn es nach Adorno kein richtiges Leben im falschen geben könne, dann müsse eben im Außerhalb des Falschen nach einem richtigen Leben gesucht werden – folglich behauptete Max Schemmler: “Es gibt ein richtiges Leben außerhalb des falschen.” Diese einleuchtende These war zugleich die Prämisse für eine zeitgenossenschaftliche Suche nach einem Außen der Wissenschaft, das Schemmler in Theorie und Praxis erforschte.
Zum ersten Mal taucht hier das Konzept der “Reflexiven Synchronität” auf, ein Verfahren bei welchem der Forscher durch beständiges simultanes Reflektieren seiner Denk- und Wissenswerkzeuge extemplo seine Methodik wie auch die institutionelle Rahmung hinterfragen sollte. Das Buch versucht die begriffliche Komplexität und die vielseitigen Relationen dieses Vorhabens mit den Mitteln der normalen Schrift darzustellen.
Mit Labor ist dabei zugleich dasselbe wie auch die Soziologie gemeint, die selbst wiederum an den Grenzen der Methodik zum Gegenstand der Untersuchung werden muss. Eine Soziologie, die Gesellschaft als Labor betrachtet, aber auch die Soziologie des Labors, mit welcher gesellschaftlicher Erkenntnisgewinn vorangetrieben wird, müssen selbst als Labor wie Soziologie dieser Operationen verstanden werden. Schemmler sieht in diesem Kräfteverhältnis eine wesentliche Grundlage für alle weiteren Arbeiten an einer Theorie der modernen Zeitgenossenschaft wie der Wissenschaft im Allgemeinen. Seine These lautet: Je durchdringender diese Zusammenführung von Soziologie und Labor in der Zeitgenossenschaft vollzogen wird, umso besser können sich zwischen den getrennten Bereichen die „wichtigen Dinge“ ausbreiten, die von der folgenden Zeitgenossenschaft noch definiert werden müssen. Diese „wichtigen Dinge” welche andere Wissenschaften ausgeblendet haben, gilt es anzuerkennen, denn wenn diese erst einmal erkannt wurden – wer braucht dann noch ein Labor respektive die Soziologie? Nur dann könne der fraglich gewordene Glaube der modernen Wissenschaft, dass wissenschaftliche Wahrheit bereits als Garant für Sinn, Bedeutung oder Fortschritt gelte, verabschiedet werden, ohne zugleich in den Abgrund eines postmodernen everything is possible zu fallen.
Und so endet dieses Buch mit dem seither oft zitierten, prophetischen Imperativ der Zeitgenossenschaft:
“Vorwärts zum Licht, rückwärts nach Frankfurt!“

Mit einem Vorwort von Martin Martin Schlesinger.
Im Erscheinen, 2022.

Original: Schemmler, Max: Soziologie im Labor. Einführung in die Methodik zeitgenössischen Denkens. Eichbach, Köln 1968. (vergriffen)